Die Brücke im Nebel: Nur noch ein Schatten ihrer selbst
Junge Frau betritt alte Brücke im Nebel
Es war ein Sonntagabend, als Clara nach Hause ging. Der Tag war grau gewesen, der Abend nun feucht und kalt. Über den Feldern zog sich dichter Nebel zusammen, so dick, dass man kaum zehn Meter weit sehen konnte.
Clara kannte den Weg. Er führte durch ein kleines Waldstück, dann über eine schmale alte Brücke, die den Fluss teilte. Normalerweise nahm sie diesen Pfad nicht gern, weil er einsam und unheimlich wirkte. Doch an diesem Abend war es der schnellste Weg, und sie wollte nicht noch länger durch den Nebel irren.
Als sie den ersten Schritt auf die Bretter der Brücke setzte, knackte das Holz unter ihrem Gewicht. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Der Nebel hing wie eine Wand, alles um sie herum wirkte verschwommen, als sei die Welt aus Glas und Rauch gemacht.
„Nur rüber und dann nach Hause“, flüsterte sie sich selbst zu.
Frau hört unheimliche Schritte im Rücken
Sie ging zügig voran. Doch nach wenigen Schritten hielt sie inne. Etwas stimmte nicht.
Ein Geräusch. Leise, aber klar. Schritte.
Sie drehte den Kopf. Nichts. Hinter ihr war nur Nebel, dichter als zuvor. Sie schluckte und ging weiter. Doch kaum setzte sie den nächsten Fuß auf, hörte sie es wieder: ein zweites Paar Schritte, genau in ihrem Rhythmus.
„Da ist jemand“, murmelte sie und blieb abrupt stehen. Auch die Schritte hielten inne.
Stille. Nur das Wasser unter der Brücke rauschte leise, fast erstickt vom Nebel. Clara wartete, das Herz pochte in ihrem Hals. Dann ging sie weiter. Und wieder folgten die Schritte.
Ein kalter Schweißfilm legte sich auf ihre Haut. „Wer ist da?“ rief sie, die Stimme bebte. Keine Antwort.
Frau sieht ihr eigenes Abbild im Nebel
Langsam drehte sie sich um.
Zuerst sah sie nur den Nebel, dick und bewegungslos. Doch dann schälte sich eine Gestalt heraus. Eine Frau. Dieselbe Größe, dieselbe Haltung. Mit jedem Augenblick klarer.
Clara keuchte. Es war sie selbst.
Gleiches Gesicht, gleiche Haare, gleiche Jacke. Das Spiegelbild stand am anderen Ende der Brücke, regungslos, die Augen auf sie geheftet.
„Das… das ist unmöglich“, flüsterte sie. Ihr Spiegelbild bewegte die Lippen, doch Clara hörte keine Worte. Nur ein leises Knistern, als würde der Nebel selbst sprechen.
Dann trat das Abbild einen Schritt vor. Holz knackte unter seinen Schuhen – und genau in diesem Moment tat Clara unwillkürlich denselben Schritt zurück. Es war, als wäre sie ein Spiegelbild ihrer selbst, gefangen im Nebel.
Doppelgänger zwingt Frau zum Stillstand
Clara versuchte, sich wieder nach vorn zu drehen, weiterzugehen. Doch es war, als hielte etwas ihre Füße fest. Ihr Spiegelbild stand noch immer da, bewegungslos.
„Geh weg… geh weg!“ schrie Clara. Doch die Gestalt rührte sich nicht. Stattdessen veränderte sich ihr Gesicht. Zuerst kaum merklich, dann deutlich: Die Lippen verzogen sich zu einem unnatürlichen Lächeln.
Clara schnappte nach Luft. „Das bin nicht ich…“
Die Gestalt begann, sich zu bewegen – diesmal nicht im Gleichschritt, sondern unabhängig. Sie kam näher, Schritt für Schritt, langsam, aber zielstrebig.
Clara wich zurück, bis sie fast am Rand der Brücke stand. Der Nebel hinter ihr ließ kein Ende erkennen. Sie konnte nicht sagen, ob sie näher am Anfang oder am Ende war. Es gab nur Nebel und die Bretter unter ihren Füßen.
„Was willst du?“ schrie sie.
Das Abbild blieb stehen. Dann öffnete es den Mund. Und mit Claras eigener Stimme flüsterte es: „Deinen Platz.“
Frau erkennt grausame Wahrheit auf der Brücke
Claras Herz raste. Sie stolperte zurück, die Hände an das kalte Geländer gepresst. „Das… das ist Wahnsinn.“
Die Gestalt trat weiter vor. Nun war sie nur noch wenige Meter entfernt. Und da erkannte Clara etwas, das ihr Blut gefrieren ließ: Auf der Brust der Doppelgängerin war ein dunkler Fleck. Ein nasser, roter Fleck, der langsam größer wurde.
Clara sah an sich hinunter. Auf ihrer eigenen Brust zeichnete sich derselbe Fleck ab , an exakt derselben Stelle. Sie tastete hin und spürte feuchte Wärme. Doch da war keine Wunde. Kein Schmerz. Nur Blut, das sich aus dem Nichts ausbreitete.
„Du bist schon tot“, flüsterte das Abbild. „Seit du den Nebel betreten hast.“
Clara schüttelte den Kopf, Tränen liefen über ihr Gesicht. „Nein… ich lebe… ich…“
Doch in diesem Moment verschwand der Boden unter ihren Füßen. Ein Knarren, ein Splittern. Die Brücke brach ein.
Clara stürzte, fiel in den Nebel, der unter ihr aufstieg wie Wasser. Doch noch bevor sie aufschlug, sah sie hinauf. Dort stand ihre Doppelgängerin. Aufrecht. Lebendig. Auf der Brücke. Mit ihrem Gesicht. Mit ihrem Körper.
Und sie drehte sich um und ging davon.