Die letzte Bahnfahrt: Student fährt in die Dunkelheit ohne Ziel
Student steigt in die letzte Bahn
Es war kurz nach Mitternacht, als ich die Treppen zur U-Bahn hinunterstieg. Ich war müde vom Lernen, meine Tasche hing schwer an meiner Schulter. Die Station war fast leer, nur das Brummen der Neonröhren hallte von den Fliesen wider.
Ein Zug fuhr ein, leer bis auf ein paar vereinzelte Gestalten hinter den Fenstern. Ich hastete hinein, froh, dass ich nicht länger warten musste. Die Türen schlossen sich hinter mir mit einem metallischen Schlag.
Ich ließ mich auf einen Sitz fallen, atmete durch. Endlich nach Hause.
Doch als der Zug losfuhr, fiel mir etwas auf: Die Anzeige für die nächste Station blieb dunkel. Kein Name, kein Licht. Nur ein schwarzes Feld.
„Vielleicht ist sie kaputt“, dachte ich und nahm es nicht so ernst. Typisch eben.
Fahrgäste bleiben unheimlich stumm
Nach ein paar Minuten sah ich mich im Waggon um.
Es saßen vielleicht ein Dutzend Leute verteilt. Ein alter Mann mit Hut, eine Frau mit Kinderwagen, zwei Jugendliche in Kapuzenpullis. Sie alle starrten geradeaus, regungslos. Niemand sprach, niemand bewegte sich.
Normalerweise hört man in der Bahn immer etwas – ein Räuspern, ein Rascheln, Schritte. Hier: nichts. Nur das rhythmische Rattern der Räder.
Ich wollte etwas sagen, vielleicht einen harmlosen Kommentar, nur um die Stille zu brechen. Aber meine Stimme blieb mir im Hals stecken. Irgendetwas an den Gesichtern der anderen ließ mich schweigen.
Sie wirkten blass, fast grau. Und ihre Augen… leer.
Zug fährt endlos durch den Tunnel
Ich schaute auf die Uhr. Zehn Minuten waren vergangen. Normalerweise hätte die Bahn schon an zwei Stationen halten müssen. Doch sie fuhr ununterbrochen weiter, durch dunkle Tunnel, ohne Ansagen, ohne Bremsen.
Ich stand auf, ging zur Tür, schaute hinaus. Tunnelwände zogen vorbei, endlos.
„Entschuldigung“, wandte ich mich an die Frau mit dem Kinderwagen. „Hält dieser Zug noch?“
Keine Reaktion. Sie starrte einfach weiter auf den Boden.
Ich ging zum nächsten Fahrgast, einem Mann im Anzug. „Hallo? Können Sie mir sagen—“
Da fiel mir etwas auf. Seine Haut wirkte nicht nur blass, sie war fleckig. Wie Pergament, das sich löst. Und an seinem Hals zeichnete sich etwas Dunkles ab, wie ein faulender Schatten.
Ich wich zurück, mein Herz raste.
Passagiere beginnen zu verwesen
Mit jedem Blick erkannte ich mehr. Der alte Mann mit dem Hut: Seine Finger waren schwarz an den Spitzen, als wären sie verbrannt. Die Jugendlichen in den Kapuzen: ihre Haut spannte sich über Knochen, eingefallen, tot.
Und doch saßen sie da, still, als sei alles normal.
Ein Geruch breitete sich aus. Erst schwach, dann stärker. Ein süßlicher Gestank, der sich in meine Nase fraß. Verwesung.
Mir wurde übel. Ich presste die Hand auf den Mund, taumelte zurück zu meinem Platz.
„Das ist ein Traum“, flüsterte ich mir zu. „Nur ein Traum.“
Doch das Rattern der Räder war zu echt, der Gestank zu beißend.
Student erkennt seine ausweglose Fahrt
Ich rannte zur Tür, drückte gegen den Nothebel. Nichts passierte. Ich hämmerte mit den Fäusten gegen die Scheibe, schrie. Doch der Zug raste weiter.
Niemand reagierte.
Dann bemerkte ich etwas Entsetzliches.
Die Frau mit dem Kinderwagen bewegte sich endlich. Sie hob langsam den Kopf und lächelte. Ihre Zähne waren schwarz, ihre Haut hing in Fetzen. Im Wagen vor ihr, in der Decke, summte ein altes Kinderlied.
Ich stolperte zurück, Tränen in den Augen. „Bitte… bitte, lasst mich raus…“
Doch da sah ich die Anzeige über den Türen. Sie war wieder an. Doch es stand kein Stationsname dort. Nur ein Wort: ENDSTATION.
Dunkelheit verschluckt den letzten Fahrgast
Plötzlich ruckte der Zug, die Lampen flackerten. Ein Windhauch wehte durch den Waggon, kalt wie aus einem Grab.
Die Fahrgäste standen nun alle auf, gleichzeitig, lautlos. Sie drehten die Köpfe in meine Richtung. Ihre Augen waren leer, schwarz und doch brannten sie wie Kohlen.
„Nein… nein…“ Ich presste mich in die Ecke, die Tasche fest an mich gedrückt.
Das Licht flackerte noch einmal. Dann erlosch es endgültig.
Dunkelheit verschluckte alles. Kein Rattern mehr, kein Atem, nur absolute Stille.
Ich weiß nicht, wie lange ich da saß. Minuten? Stunden? Vielleicht fahre ich noch immer.
Aber manchmal… ganz manchmal… höre ich im Zug noch jemanden atmen. Und ich weiß, dass ich nie wieder aussteigen werde.