Die Mutprobe auf dem Friedhof: In die Tiefe gezerrt
Drei Freunde betreten den Friedhof bei Nacht
Es war eine dieser Nächte, in denen der Nebel dicht über den Straßen lag und die Welt in ein graues Schweigen tauchte. Lukas, Tim und Sarah waren gerade einmal achtzehn, jung, voller Trotz und Mut, aber auch mit dem Bedürfnis, sich gegenseitig zu beweisen, wer von ihnen der Furchtloseste war.
Der Friedhof am Rande des kleinen Ortes war schon lange nicht mehr gepflegt. Alte Grabsteine neigten sich schief, einige Inschriften waren kaum mehr lesbar. Zwischen den Steinen brannten flackernde Grablichter, deren rotes Licht im Nebel gespenstisch schimmerte.
„Also gut“, grinste Lukas und schob die Hände in die Jackentaschen. „Wer von uns traut sich, bis ganz nach hinten zum Engelgrab zu gehen?“
Tim lachte nervös. „Du meinst das mit der Statue ohne Kopf? Klar, wieso nicht. Aber nur, wenn Sarah mitkommt.“
Sarah verdrehte die Augen, doch sie ließ sich nicht anmerken, wie ihr Herz schneller schlug. „Schon gut. Aber nur kurz. Dann hauen wir ab.“
Die drei traten durch das eiserne Tor, das mit einem langen Quietschen nachgab. Dahinter lag der Friedhof still und bedrückend, als würde er nur auf sie warten.
Junge Männer machen sich über Gräber lustig
Sie gingen an den ersten Grabreihen vorbei. Nebel kroch über die Erde, schlängelte sich zwischen den Kreuzen und Figuren hindurch. Ein Hund bellte in weiter Ferne, doch sonst war kein Laut zu hören.
„Ganz schön still hier“, murmelte Sarah und hielt den Blick auf den Boden gerichtet.
„Perfekt für unsere kleine Mutprobe“, meinte Lukas und tat so, als wäre er völlig unbeeindruckt. Er blieb an einem alten Grab stehen, auf dessen Stein Moos wucherte. Ohne zu zögern setzte er sich obenauf, lehnte sich zurück und grinste.
„Na, was sagt ihr jetzt? So macht man das. Keine Angst vor alten Knochen.“
Tim lachte, doch sein Lachen klang gepresst. „Du bist echt ein Idiot, Lukas. Wenn hier ein Geist ist, dann hast du ihn gerade beleidigt.“
„Ach, Geister gibt’s nicht.“ Lukas schlug mit der Hand auf den Grabstein. „Alles nur Geschichten.“
Sarah aber spürte etwas Kaltes im Nacken. „Lass das“, zischte sie. „Man sollte die Toten nicht verspotten.“
Lukas winkte ab. „Was sollen die mir schon tun? Ich sitze hier oben, und nichts passiert.“
Knochenarme reißen jungen Mann ins Grab
Doch dann geschah es.
Ein Knacken. Erst leise, dann lauter. Unter Lukas begann sich die Erde zu bewegen. Der Grabstein vibrierte, als würde etwas darunter erwachen. Lukas sprang auf, doch zu spät.
Plötzlich brachen Knochenarme durch die Erde, gelblich, dünn und doch unheimlich stark. Sie packten seine Beine, krallten sich in seine Haut, zogen ihn zu Boden.
„Hilfe! Was zum?“ Lukas schrie, trat um sich, doch immer mehr Hände griffen nach ihm. Aus dem Boden quoll ein Skelett, der Schädel grinste leer, als es sich an ihm festbiss.
Tim und Sarah erstarrten. Dann rissen sie die Augen weit auf, als Lukas in die Erde gezogen wurde, Zentimeter für Zentimeter. Seine Schreie hallten durch die Nacht, bis nur noch seine Hände zu sehen waren, die wild nach Halt griffen.
„Haltet mich fest! Bitte!“
Tim stürzte nach vorn, doch noch ehe er Lukas erreichen konnte, zogen die Knochenarme ihn ganz hinab. Erde und Nebel schlossen sich über ihm. Stille kehrte zurück.
Nur der Grabstein blieb. Und ein dunkles Loch, das sich langsam wieder füllte, als sei nie etwas gewesen.
Freunde fliehen panisch vom Friedhof
Sarah schrie auf, riss Tim am Arm und rannte los. Ihre Schritte hämmerten auf den Kieswegen, sie stolperten fast, während die Grablichter links und rechts wie böse Augen flackerten.
„Das war echt! Das war echt!“ stammelte Tim, außer Atem, doch Sarah zog ihn weiter.
Das Tor kam in Sicht. Sie warfen sich hindurch, rannten hinaus auf die Straße, ohne zurückzusehen. Der Nebel verschluckte den Friedhof, als hätte er sie nie hereingelassen.
Stunden später, als sie endlich im Dorf ankamen, erzählten sie atemlos von dem, was geschehen war. Doch niemand glaubte ihnen. „Euer Freund ist bestimmt abgehauen. Jugendlicher Leichtsinn“, sagten die Erwachsenen. „Ihr habt euch das eingebildet. Nebel spielt Streiche.“
Die Polizei durchsuchte den Friedhof. Kein Loch, keine Spuren. Nur alte Gräber, still und unauffällig.
Lukas galt seitdem als vermisst.
Vermisstenplakate hängen bis heute im Ort
Jahre vergingen. Sarah zog weg, studierte in einer anderen Stadt. Tim ebenfalls. Sie sprachen kaum noch über diese Nacht, doch in ihren Träumen hörten sie oft wieder die Schreie, sahen Lukas’ Hände, die im Nebel verschwanden.
Und wenn sie ab und zu in ihre Heimat zurückkehrten, hing noch immer dasselbe Plakat am schwarzen Brett beim Supermarkt:
Vermisst: Lukas M. Seit jener Nacht im Jahr … Ein verblasstes Foto und ein junges Gesicht, das nie älter wurde.
Die Dorfbewohner hatten längst andere Geschichten. Manche sagten, Lukas sei weggelaufen. Andere flüsterten, er sei gestorben, doch niemand habe den Mut, das zuzugeben.
Doch wer nachts am Friedhof vorbeigeht, schwört manchmal, Schritte zu hören. Und wer zu lange hinhört, glaubt, eine Stimme aus dem Nebel zu vernehmen. Eine Stimme, die ruft: „Haltet mich fest… Bitte!“