Gruselige Begegnung: Mädchen trifft einen geheimnisvollen Geist
Familie zieht in altes knarrendes Haus
Lina war zehn Jahre alt, als sie mit ihren Eltern in das neue Haus zog. Neu war es eigentlich gar nicht – im Gegenteil, es war alt, mit dicken Mauern, schiefen Fenstern und einer knarrenden Holztreppe, die bei jedem Schritt seufzte.
„Das ist unser neues Zuhause!“, sagte ihr Vater stolz. „Hier gibt es genug Platz für dich und deine Abenteuer.“
Lina mochte Abenteuer. Aber dieses Haus wirkte ein bisschen so, als hätte es schon viele Geheimnisse gesehen. Die Türen klemmten, der Dachboden war dunkel und im Garten stand ein krummer Apfelbaum, der aussah wie eine alte Hexe mit ausgestreckten Armen.
Am ersten Abend packten sie Kisten aus. Linas Zimmer lag unterm Dach, direkt neben einer winzigen Kammer mit einer schweren Holztür. Niemand wusste so recht, wofür diese Kammer einmal gut gewesen war. „Ein Abstellraum“, meinte die Mutter. „Wir machen ihn einfach zu.“
Doch Lina war neugierig. Immer wieder blickte sie zur Tür, als könnte hinter ihr etwas warten.
Mädchen hört nachts seltsame Schritte
In der ersten Nacht konnte Lina kaum schlafen. Der Wind pfiff durch die Ritzen, und die Äste des Apfelbaums kratzten gegen das Fenster. Irgendwann drehte sie sich im Bett um – da hörte sie es: tap… tap… tap.
Schritte. Ganz leise, langsam, als ob jemand vorsichtig durch den Flur ging.
„Mama?“, flüsterte sie. Keine Antwort.
Die Schritte kamen näher. Dann hielt es inne. Ein Knarren, so als würde sich eine Tür bewegen. Lina zog die Decke über den Kopf. Ihr Herz klopfte schneller.
Doch nach einer Weile war wieder alles still. Am Morgen erzählte sie ihren Eltern davon. „Bestimmt nur das Haus, das arbeitet“, lachte ihr Vater. „Alte Häuser knacken und stöhnen eben.“
Aber Lina war sich sicher: Das waren keine Holzgeräusche. Das waren richtige Schritte.
Kind sieht geisterhafte Gestalt im Flur
In der zweiten Nacht beschloss Lina, wach zu bleiben. Sie stellte eine kleine Taschenlampe neben ihr Bett. Als die Zeiger der Uhr Mitternacht erreichten, hörte sie es wieder: tap… tap… tap.
Ganz langsam öffnete sie die Taschenlampe. Ein schwacher Lichtstrahl fiel auf die Flurtür.
Und da war sie – eine Gestalt. Neblig, durchsichtig, wie Rauch, der sich in Menschenform drehte. Ein Gesicht ohne klare Züge, aber mit Augen, die funkelten wie kleine Sterne.
Lina schnappte nach Luft. Die Gestalt drehte den Kopf und sah zu ihr herein. Einen Moment lang stand sie still, dann verschwand sie lautlos in die kleine Kammer neben ihrem Zimmer.
Lina wagte es nicht, hinterherzugehen. Doch am nächsten Tag fasste sie Mut. Sie öffnete die schwere Holztür und fand nur Staub, Spinnweben und eine leere Truhe.
„Ich habe ihn doch gesehen!“, flüsterte sie.
Geist erzählt traurige Geschichte vom Haus
In der dritten Nacht wartete Lina. Diesmal hatte sie einen Plan. Sie stellte ein Glas Milch und ein Stück Apfelkuchen auf den Tisch neben der Kammer. „Vielleicht ist er gar nicht böse“, dachte sie.
Wieder kam das tap… tap… tap. Die Gestalt erschien, blieb vor der Tür stehen und beugte sich tatsächlich über den Teller. Dann sprach sie. Die Stimme klang wie ein ferner Wind:
„Ich bin Johann… ich habe hier gelebt… vor langer, langer Zeit.“
Lina schluckte. „Warum bist du noch hier?“
Der Geist sah sie traurig an. „Ich war ein Kind, genau wie du. Doch ich wurde krank und niemand konnte mir helfen. Ich blieb im Haus, allein, vergessen. Nun finde ich keine Ruhe.“
Lina spürte Mitleid. Der Geist wirkte nicht böse, nur einsam. „Dann bist du nicht gefährlich?“
Johann schüttelte den Kopf. „Ich wollte nur jemanden, der mich sieht.“
Mädchen schenkt Geist endlich Frieden
Am nächsten Tag erzählte Lina ihren Eltern nichts. Sie wusste, sie würden ihr nicht glauben. Stattdessen überlegte sie, wie sie Johann helfen konnte.
Sie malte ein Bild: Ein fröhlicher Junge, der im Garten unter dem Apfelbaum spielt. Dazu schrieb sie: „Du bist nicht vergessen.“
In der vierten Nacht wartete sie wieder. Als Johann erschien, zeigte sie ihm das Bild. Seine Augen funkelten heller als zuvor. Er nahm das Bild in die durchsichtige Hand und für einen Augenblick wirkte er fast wie ein echter Junge.
„Danke“, flüsterte er. „Nun habe ich Frieden.“
Langsam begann er zu verblassen, wie Nebel im Morgengrauen. „Leb wohl, Lina.“
Und dann war er fort. Für immer.
Seitdem blieb das Haus still. Keine Schritte mehr, kein Flüstern. Nur das Knarren der Treppe, wenn man sie hinunterlief.
Lina aber wusste: Sie hatte einem Geist geholfen, seinen Weg zu finden. Und immer wenn der Wind durch den alten Apfelbaum strich, hörte sie leise ein Lachen – das Lachen eines Jungen, der endlich frei war.