Wahre Legende: Die Weiße Nonne bei der Kapelle
Jugendliche schlagen Zelte im Wald auf
Es war Spätsommer, die Luft warm und voller zirpender Grillen. Eine Gruppe von sieben Jugendlichen hatte ihre Zelte am Waldrand aufgeschlagen. Sie waren zwischen fünfzehn und sechzehn Jahre alt, ausgelassen, neugierig und voller Energie.
Am Rand der Wiese, auf der sie zelteten, erhob sich der dunkle Wald. Und nicht weit entfernt stand eine kleine alte Kapelle. Ihre Mauern waren verwittert, das Dach moosbedeckt, die Fenster mit Brettern vernagelt.
„Das ist also die Kapelle, von der die anderen gesprochen haben“, meinte Konrad, der Anführer der Gruppe. „Hier soll die weiße Nonne erscheinen.“
„Pah, Märchen“, lachte Miriam, die Jüngste. „Das erzählen die nur, damit wir Angst haben.“
Doch im Kreis am Lagerfeuer, als die Flammen knisterten und der Vollmond durch die Baumkronen schien, kam das Gespräch immer wieder auf die Legende zurück.
„Man sagt, wenn der Mond ganz rund ist, geht sie durch den Wald“, flüsterte Tom, der neben seiner Taschenlampe hockte. „In einem weißen Habit, mit einer alten Öllampe in der Hand. Und sie summt ein Lied, das niemand kennt.“
„Und wenn man sie sieht?“, fragte Miriam neugierig.
Tom zuckte mit den Schultern. „Dann soll man rennen. Denn wer ihr folgt, kommt nie zurück.“
Gruppe wagt Mutprobe bei Vollmond
Je länger die Nacht wurde, desto mutiger fühlten sich die Jugendlichen. Die Legende schien sie mehr anzuziehen als abzuschrecken.
„Lasst uns hingehen“, forderte Konrad schließlich. „Wir schauen nach der Kapelle. Heute ist doch Vollmond. Wenn wir Glück haben, sehen wir sie.“
Ein Murmeln ging durch die Gruppe. Einige wollten nicht, andere gaben schnell nach. Schließlich standen sie auf, Taschenlampen in der Hand, und machten sich auf den Weg in den Wald.
Der Weg war schmal, voller Wurzeln. Der Nebel, der sich zwischen den Bäumen bildete, ließ den Wald wie einen Ort aus einem Traum wirken. Die Jugendlichen schoben sich dicht aneinander, lachten nervös und redeten lauter, als sie wollten.
Nach einigen Minuten tauchte die Kapelle auf. Klein, wie vergessen, mit einem eisernen Kreuz über dem Dachfirst. Der Vollmond stand direkt darüber, warf ein gespenstisches Licht auf die Mauern.
„Na also, nichts Besonderes“, meinte Konrad. Doch seine Stimme zitterte leicht.
Jugendliche sehen weiße Gestalt im Wald
Dann verstummten sie alle zugleich.
Denn zwischen den Bäumen, einige Meter hinter der Kapelle, bewegte sich etwas.
Eine Gestalt. Weiß. Fließend. Sie glitt langsam durch den Nebel, als würde sie schweben. In der Hand trug sie eine Öllampe, deren Flamme gelblich im Wind flackerte.
Und sie summte.
Ein leises, trauriges Lied, so alt, dass niemand die Melodie kannte. Es war kein Lied, das Kinder kannten, kein Schlaflied, kein Volkslied. Es war fremd – und doch so traurig, dass den Jugendlichen ein Schauer über den Rücken lief.
„Das… ist sie“, flüsterte Miriam mit weit aufgerissenen Augen.
Die Gestalt wandte den Kopf. Im Mondlicht glänzte das Gesicht weiß wie Kreide, leer, ohne Augen, nur von einem Schatten verhüllt.
Konrad stieß einen Schrei aus, drehte sich um und rannte. Die anderen schrien ebenfalls und folgten ihm. Die Taschenlampen tanzten, ihre Schritte donnerten über den Waldboden. Niemand wagte, sich noch einmal umzudrehen.
Sie rannten, bis das Lagerfeuer wieder in Sicht kam. Erst dort hielten sie an, keuchend, mit Herzklopfen, die Hände schweißnass.
„Das war echt…“, stammelte Tom. „Das war die Weiße Nonne!“
Am nächsten Tag erzählt Aufseher wahre Geschichte
Am Morgen saßen sie still beim Frühstück. Niemand hatte gut geschlafen. Der Wald wirkte harmlos im Sonnenlicht und doch hing das Bild der weißen Gestalt allen im Kopf.
Schließlich ging Miriam zu Herrn Becker, einem der Aufseher des Zeltlagers, der gerade Holz stapelte. „Herr Becker… stimmt es, dass es die Weiße Nonne gibt?“
Der Mann hielt inne, blickte sie lange an. Dann seufzte er und setzte sich. „Also habt ihr sie gesehen.“
Die Jugendlichen drängten sich um ihn. „Ja! Sie hatte eine Lampe! Sie hat gesungen!“
Herr Becker nickte langsam. „Es ist eine alte Geschichte. Sie stammt aus der Zeit, als die Kapelle noch genutzt wurde. Damals lebte dort eine Nonne, Schwester Agnes. Man sagt, sie war eine gute Frau, freundlich zu allen, half den Armen und den Kindern.“
„Und was ist passiert?“ fragte Konrad leise, fast schüchtern.
„Ein Feuer“, sagte Becker. „Eines Nachts brannte die Kapelle. Niemand weiß, wie es begann. Die Leute rannten fort, doch Schwester Agnes blieb. Sie wollte die Kinder retten, die dort Zuflucht gefunden hatten. Man fand sie später in den Trümmern – aber nicht die Kinder. Seitdem soll ihre Seele keinen Frieden finden.“
Er sah die Jugendlichen ernst an. „Darum geht sie im Vollmondlicht durch den Wald. Sie sucht die Kinder, die sie nicht retten konnte. Und wer sie sieht, erinnert sie an ihre Schuld. Deshalb darf man ihr nicht folgen.“
Die Gruppe schwieg. Ein kühler Wind fuhr durch die Wiese, als hätte er Beckers Worte bestätigt.
Sarah, die bisher kaum etwas gesagt hatte, murmelte: „Sie sah so traurig aus. Vielleicht sucht sie immer noch… und wird nie finden.“
Jugendliche behalten Begegnung für immer im Gedächtnis
Der Rest des Lagers verlief ohne Vorfälle. Doch die Jugendlichen vergaßen die Nacht an der Kapelle nie.
Noch Jahre später, wenn sie erwachsen waren und längst in anderen Städten lebten, erzählten sie sich manchmal flüsternd die Geschichte. Von der Gestalt im Nebel, vom Lied im Mondschein, von der weißen Nonne, die mit der Lampe durch die Bäume ging.
Und immer wieder kam dieselbe Frage: War sie wirklich da? Oder hatte der Vollmond ihre Fantasie getäuscht?
Doch tief in ihren Herzen wussten sie die Antwort.
Die Weiße Nonne war da gewesen. Und sie würde so lange wandern, bis sie die Kinder fand, die sie einst verloren hatte.